Der Ballon
Das Bilderbuch „Der Ballon“ dreht sich um den Umgang mit Aggression, mit schreienden Erwachsenen und um den kindlichen Wunsch nach Verwandlung in bestimmten Situationen. Die starke Story der argentinischen Autorin ISOL regt zum Widerspruch an:
Was sollen Kinder mit den Bildern dieser kreischenden Mutter anfangen? Ist es ein Tabubruch, den Kontrollverlust einer übermächtigen Erziehungsberechtigten so drastisch darzustellen?
Das handliche Format legt den Schluss nahe, „Der Ballon“ sei ausschließlich dafür entstanden, mit verschwörerischem Augenzwinkern unter humorvoll-bekennenden „Schreimüttern“ weitergegeben zu werden. Doch ebenso wie Zaubermärchen Kinder ab dem ca. 4. Lebensjahr magisch faszinieren, bietet dieses Buch für alle wertvollen Gesprächsanlass. In Argentinien ist das Kultbuch „El Globo“ bei Bilderbuchvermittlerinnen in Bibliotheken längst ein Renner. Eine schreiende Mutter voller Feuer und Temperament ist immer noch besser als eine lethargische, die Gleichgültigkeit ausstrahlt und „Laissez-faire“ praktiziert. Desinteresse und ein unterkühlter, nur aufs Funktionieren bedachter, professionellpädagogischer Umgang kann für Kinder gefährlich sein. Dem ist Reibungswärme eindeutig vorzuziehen. Wer sich selbst Fehler erlaubt, ist übrigens anderen gegenüber oftmals nachsichtiger. Und, nicht zu vergessen: Bei Wut und Zorn gibt es auch eine positive, produktive, ja sogar konstruktive Dimension (das Wort Aggression hat herkunftsmäßig mit dem lateinischen Begriff für „etwas beginnen, unternehmen“ zu tun). Diese Frau will etwas – von ihrem Kind oder für sich selbst. Was, das bleibt unklar, und sei es nur eine Veränderung der für beide unerträglichen Situation. Die lauthals brüllende Erwachsene ist so außer sich geraten, dass sie es wahrscheinlich selbst nicht mehr benennen kann. Die meisten Menschen, die regelmäßig mit Kindern zu tun haben, kennen Momente der Ohnmacht, wo ein Lautwerden befreiend zu wirken scheint. Aber natürlich schadet es der Beziehung und ist nie hilfreich, wenn unbeherrscht-hysterisch herumgeschrien wird.
Als die Situation kippt, macht Emilia etwas unglaublich Kluges: Sie begreift, dass jeder Kommunikationsversuch mit der Schreienden sinnlos ist. Ebenso könnte sie einen roten aufgeblasenen Gasluftballon dabeihaben während eines Ausfluges
in den Park: Wer hält da wen an der Hand? Wer führt wen vor? Das Mädchen schützt sich in seiner Vorstellung vor Verletzung, gibt sogar liebevoll auf seinen Ballon acht und verteidigt ihn mutig gegen imaginäre beißende Hunde. Es stellt sich vor, andere Kinder bewunderten den Ballon, als Bestätigung, dass das, was es mit seiner Hand berührt, nicht wirklich seine Mutter ist. Nicht so, wie es sich seine Mutter wünscht: ruhig, souverän, wunderschön leuchtend und strahlend, gelassen über allem stehend. Und unbeschwerten ausgelassenen Spielen aufgeschlossen.
Mit lockeren frech hingezeichneten Strichen und großzügig gekritzelten Farbflächen in den drei leicht gebrochenen Grundtönen Rot, Gelb- Orange und Hellblau-Türkis fängt ISOL die Entgleisung der Mutter gekonnt ein. Ebenso transportiert sie damit die grandiose Fähigkeit der Tochter, mit der schwierigen Situation kreativ und fantasievoll umzugehen.
Ihr Bedürfnis nach Spaß und Freude wird im offen gehaltenen Ende überdeutlich. Wünschen wir den beiden das Allerbeste und erinnern wir uns im pädagogischen Alltag an die versöhnliche Botschaft des Büchleins: Nimm´s leicht, sei fröhlich und rund einmal wie ein Luftballon! Genieße das Leben mit den dir anvertrauten Kindern!
Buchtitel: | Der Ballon |
AutorIn: | ISOL |
Verlag: | Verlag Jungbrunnen |
ISBN: | 978-3-7026-5856-4 |
erschienen: | 2014 |
Rezension: | von Veronika Mayer-Miedl (erschienen im Fachjournal für Bildung und Betreuung in der frühen Kindheit UNSERE KINDER - Ausgabe 2/2015) |